KAHLSCHLAGSANIERUNG AM ERNST-REUTER-PLATZ?
Ein Denkmalensemble der Nachkriegsmoderne ist in Gefahr


TU plant Abriß des Gebäudes für Bergbau und Hüttenwesen

Seit der Wiedervereinigung 1990 ist das Stadtzentrum Berlins einem immensen Veränderungsdruck ausgesetzt, der in seinem Ausmaß nur mit der Kahlschlagsanierung der Nachkriegszeit verglichen werden kann. Vom Abriß am stärksten betroffen sind die Bauten der Fünfziger bis Siebziger Jahre. Das sogenannte 'Planwerk Innenstadt', das 1999 vom Berliner Senat als verbindliche Planungsgrundlage beschlossen wurde, sieht eine vollständige Revision des Städtebaus dieser Zeit vor.

Oft werden gerade die markantesten und qualitätvollsten Gebäude, wie das Ahornblatt von Ulrich Müther oder die Bewag-Verwaltung von Paul Baumgarten, als erste zerstört. Immer sind es die akuten Geldnöte des Senats und das vorgeschobene Argument, Investoren nicht verschrecken zu wollen, wenn diese irreversiblen Entscheidungen fallen.
Planungen zum Ernst-Reuter-Platz

Bereits im 'Planwerk Innenstadt' sind erhebliche Eingriffe in das städtebauliche Ensemble des Ernst-Reuter-Platzes vorgegeben. Die Problematik der Berliner Baupolitik, die in allen Innenstadtbereichen nur noch unter dem Schlagwort der ‘kritischen Rekonstruktion' operiert, wird an diesem Beispiel besonders deutlich. Unkritisch und ohne Rücksicht auf den Bestand wird selbst hier eine Blockrandbebauung propagiert.

Planwerk Innenstadt als Veränderungsmotor - nicht als Regulator

Sicherlich müssen einige Fehler des Städtebaus der Nachkriegszeit korrigiert werden. Das damalige Leitbild der 'autogerechten Stadt' mit einer Funktionstrennung von Arbeiten und Wohnen gilt heute als gescheitert. Schlagworte wie 'Licht, Luft und Sonne' oder die Vorstellung einer aufgelockerten, durchgrünten Bebauung, haben dagegen im internationalen Vergleich weiterhin Bestand. Der rückwärtsgewandte, planerisch-ästhetische Universal-anspruch, mit dem in Berlin an sämtliche städtebauliche Aufgaben herangegangen wird, erscheint äußerst fragwürdig.

Planwerk Innenstadt, Ausschnitt Ernst-Reuter-Platz, 1999.(Veränderungsvoschläde rot markiert)
© Senat für Stadtentwicklung Berlin

Modell des Ernst-Reuter-Platzes, Bernhard Hermkes, 1955.

Ziel der Berliner Baubürokratie ist die umfassende Wiederherstellung des Straßenrasters vor 1945. In keinem Bereich wird eine freiere, nicht retrospektive Planung zugelassen. So werden selbst die gelungensten architektonischen und städtebaulichen Leistungen, wie der Breitscheid- oder der Ernst-Reuter-Platz, durch blinde Vorurteile gegen die "Nachkriegsmoderne" irreparabel zerstört.

Kahlschlagsanierung statt Nachhaltigkeit Trotz der Behauptung, aus der Geschichte gelernt zu haben, verfolgt der Senat eine Baupolitik, die die Fehler der Kahlschlagsanierung wiederholt, indem wieder einmal die Architektur einer vorangegangenen Generationen zerstört wird.

Dabei behauptet der Senatsbaudirektor, Dr. Hans Stimmann, in seinem Erläuterungstext zum Planwerk Innenstadt, man komme ausdrücklich "ohne Abrisse aus." Es gehe nicht "um die Durchsetzung einer einheitlichen Stadtvision, ... sondern um den Versuch eines Dialoges unterschiedlicher Positionen mit dem gemeinsamen Nenner 'Stadt', der die Stadtentwicklungsgeschichte in sämtlichen Aspekten aufnimmt und weiterentwickelt." Die textliche Verwässerung der eigentlichen Ziele ist ein durchgehendes Phänomen im Planwerk. Nicht zuletzt dem von der Bundesregierung geforderten Ziel der Nachhaltigkeit, widerspricht die Politik des Berliner Senats.

Die Planungen am Ernst-Reuter-Platz sind ein besonders eklatantes Beispiel für das momentane Vorgehen der Senats-Bauverwaltung. Das Ensemble steht unter Denkmalschutz. Akuter Planungsbedarf besteht nicht. Dennoch greift das Planwerk auch hier mit ästhetisierenden Vorschlägen massiv in den Bestand ein. Und obwohl die für Berlin einst typische Blockrandbebauung aus dem Bereich des Ernst-Reuter-Platzes völlig verschwunden ist, taucht auch hier das Schlagwort der 'kritischen Rekonstruktion' auf.
Anstatt im Bestand weiter zu bauen und infrastrukturelle Verbesserungen anzustreben, wird ein weiteres intaktes Ensemble der Berliner Nachkriegsmoderne unnötig verunstaltet.
TU Berlin, Fakultätsgebäude für Bergbau und Hüttenwesen. Willy Kreuer 1955/59 (Aufnahme 2000).
Das Planwerk Innenstadt sieht den Abriß des Flachbaus zugunsten einer Öffnung der Hertzallee vor. Der Flachbau schirmt den parkartigen Universitäts-Campus vom Ernst-Reuter-Platz ab.


TU Berlin, Flachbau des Architekturgebäudes, Hans Scharoun, 1967-68.
Folgt man den Vorgaben des Planwerks, würde die Westseite zum Ernst-Reuter-Platz mit der charakteristischen, leicht vorgezogenen, abgeschrägten Wand und dem an Schiffsarchitekturen erinnernden Aufsatz der Architekturbibliothek, wie auch Teile des Tiefgartens von Herta Hammerbacher, einem unmotivierten Kopfbau-Annex weichen.